http://www.polizei.bayern.de/oberbayern_nord/news/presse/aktuell/index.html/205355
Tragisch! Der Polizeibericht geht mir nicht ganz ein. Der Traumpfad geht eigentlich nicht nach Kufstein.
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Tragisch! Der Polizeibericht geht mir nicht ganz ein. Der Traumpfad geht eigentlich nicht nach Kufstein.
Im alten Bivacco Marmol um 20:47 habe ich damals noch tief beeindruckt folgendes geschrieben:
Jeder der in die Berge geht, hat es schon einmal erlebt, dass das Einfache auf einmal schwer wird. Heute hat mir die Schiara, die alte und strenge Berggoettin diese Lektion erteilt. Der Aufstieg von Belluno ueber die Case Bortot war traumhaft, Sonne und keine Wolken, ein gruenes Tal und ein rauschender Bergbach. Dann die freundlichen Wirtsleute in der Settimo Alpini und der Rat des Wirtes, dass der Weg in Ordnung sei, nur auf das Wetter muesste ich achten. Richtig, ueber dem Nevegal waren schon seit Mittag die Gewitterwolken gestanden. Pilzfoermig und bedrohlich. Im unteren Teil des Klettersteigs fing der Regen an, ausgerechnet im schwersten Stueck. Zurueck war genauso dumm wir vorwaerts. Also vorwaerts. Dann kam das Gewitter. Mit Muehe habe ich den flacheren Teil des Klettersteig erreicht und auf einmal zogen die Wolken weg, Belluno lag unter mir im Tal hell erleuchtet und die Felswaende glitzerten nass in der Sonne. Diesmal war es nur ein Scherz, sagte die Schiara, aber das naechste Mal werden wir sehen, ob ich nicht ernst mache. Jetzt sitze ich im Bivacco Marmol, schau den Dohlen zu und freue mich auch die Nachtruhe.
Braucht man für die Schiara eine Klettersteigset? Und für die anderen Passagen am Traumpfad, was braucht man da?
Seitdem ich zum Traumpfad schreibe, also ungefähr seit dem Jahr 2000, wird mir diese Frage gestellt und ich habe sie auf dieser Webseite und in allen Auflagen aller unserer Bücher immer gleich beantwortet. Interessanterweise fängt aber dennoch jede Generation der Traumpfadgeher erneut an, darüber zu philosophieren.
Mich regt das an über meine eigene alpine Historie nachzudenken und über die Risiken des Bergsteigens. Vielleicht helfen diese Gedanken ja dem einen oder anderen bei der Entscheidung über die richtige Sicherung.
Stufe 1: Als ich ein Kind war – wir reden von den 70er Jahren – hatte mein Papa immer eine Rebschnur und ich glaube auch einen Karabiner dabei. In Klettersteigen konnte man die 10m Rebschnur zu einem improvisierten Gurt binden und sich mit dem Karabiner eventuell zur Entlastung in ein Drahtseil einhängen. Zum Einsatz gekommen ist dieses Ding selten oder nie. Diese Art von Lösung wurde damals aber als brauchbare und vernünftige Sicherung gesehen.
Stufe 2: Später in den frühen 80ern, als ich einen Klettersteigkurs beim Alpenverein gemacht habe waren Brustgurt kombiniert mit Sitzgurt und statische Einbindung eines 11mm Seilstücks plus zwei Klettersteigkarabiner die Standardlösung. Die Sitzgurte waren etwas breitere Bänder ohne Polsterung und ohne Hüftgurt. Ein Helm wurde als nützlich betrachtet.
Stufe 3: einige Jahre später, etwa Ende der 80er oder Anfang der 90er waren die statische Einbindung und der lumpige Sitzgurt auch Geschichte: Klettersteigset mit Seilbremse (wer kennt die Teile noch?) und Hüftgurte mit Schließe waren Minimalstandard, die Karabiner hatten ein Verschlußsystem und waren nicht mehr offen wie die alten.
Stufe 4: schließlich kamen die integralen Klettersteigsets dazu, inklusive bessere Gurte und besserer Karabiner. Das ist mit mehreren Entwicklungsstufen der Standard von heute.
OK, war hat der Ausflug in die Geschichte nun mit der Schiara zu tun?
In jeder dieser Stufen haben Bergsteiger versucht, sich gegen bestimmte Risiken zu schützen und haben andere mehr oder weniger sehenden Auges in Kauf genommen. Um es vorweg zu sagen: das Risiko von dem wir im Klettersteig sprechen ist der Tod oder schwere Verletzung. Wer in einem Klettersteig wie der Schiara sagt, dass er (oder sie) ein Absturzrisiko akzeptiert, redet vom tödlichen Bergunfall. Ich komme noch darauf zurück.
In der Stufe 1 hat man sich dagegen geschützt, sich wegen Entkräftung oder anderer Störfaktoren nicht mehr halten zu können. Man kann sich in eine Seilschlinge für einige Minuten hängen und ausruhen, wenn man noch Zeit findet, sich einzuhängen. Weil man nur einen Karabiner hat, muss man aber immer dann wenn man sich bewegt, zeitweise ungesichert gehen. Ein Ausrutscher oder auch ein kleiner Steinschlag, der einem das Gleichgewicht nimmt, führt zum Absturz mit Todesfolge.
Ein schon damals weit verbreiteter Irrtum war, dass man sich in so eine Konstruktion länger hängen kann. Wer schon einmal Hängeversuche in einem einfachen Brustgurt gemacht hat, weiß was ich meine. Nach wenigen Minuten wird die Sache schmerzhaft, die Blutzirkulation wird unterbrochen und entweder gehen die gelähmten Arme nach oben und man fällt aus dem Gurt oder man stranguliert sich langsam selbst. Ich erinnere mich noch an meine blauen Flecken nach nur kurzem Hängen in einem Brustgurt.
Wer also auf der Stufe 1 stehenbleibt hat bei Ausrutscher, Steinschlag, Verletzung mit Bewegungseinschränkung keine Überlebenschance. Es ist so einfach und so dramatisch.
Stufe 2: der einfache Sitzgurt, Helm und statische Einbindung haben viel geholfen. Ein Ausrutscher bei horizontalen Seilen wird gut abgefangen. Weil man zwei Karabiner hat, kann man sich immer mit einem sichern. Man kann selbst in den einfache Sitzgurten lange sitzend aushalten. Bewegungseinschränkung nach Verletzung führt nicht zu einer kritischen Situation durch strangulieren oder aus dem Gurt fallen. Man kann auf Hilfe warten.
Trotzdem kam es mit dieser Technik zu einer hohen Anzahl tödlicher Unfälle. Wodurch? In einem vertikalen Stück des Klettersteigs, bei einer Leiter oder Aufstieg über Stifte stürzt man beim Ausrutschen bis zur nächsten Zwischensicherung. Bei einer Sturzhöhe im freien Fall von zwischen einem und drei Metern, die im Klettersteig realistisch sind, erreicht man Geschwindigkeiten von 10 bis 20 Stundenkilometern, die dann mit einem Ruck abgebremst werden. Im Gegensatz zum Sportklettern ist kein langes dehnbares Seil da, das Energie aufnehmen kann. Die Energie muss von dem knappen Meter Seil, dem Karabiner und dem menschlichen Körper aufgenommen werden. Die Fangstöße in so einem Fall werden sehr schnell tödlich. Eine zweite Schwachstelle damals war der Bruch der offenen Karabiner in die Querrichtung durch Verkanten und Aufbiegen des Schnappers.
Was hat das mit der Schiara zu tun? Wer noch das Altmaterial von damals hat und meinte es nehmen zu können, muss sich klar sein, was er tut. Ein tödlicher Fangstoß bei Sturz in den wenigen, aber sehr ausgesetzten vertikalen Passagen führt mit diesem Material zum sicheren Tod.
Stufe 3 überspringe ich, es war ein Versuch war das Fangstoßproblem zu lösen, der aber bald zu den modernen Sets weiterentwickelt wurde.
Bei Stufe 4 werden die Fangstöße durch das Set abgefedert. Gute Sets reduzieren die Belastung auf ein normales Sportkletterniveau oder sogar darunter. Also alles gut? Keineswegs! Leichte Bergsteiger, vor allem Kinder oder sehr leichte Frauen, brauchen spezielles Material, denn bei ihnen lösen die Sets nicht gut genug aus und die tödliche Gefahr von starken Fangstößen ist nach wie vor gegeben. Es gibt aber noch ein weiteres Risiko: Stürze im Klettersteig führen oft zu Verletzungen, weil die Kollision mit der Wand, das Verklemmen am Drahtseil oder Verletzung durch aus der Wand ragende Stahlstifte vorkommen können. Insgesamt ist das Risiko also auch bei optimalen Material relativ groß.
Ich erwähne nur kurz noch folgenden Fehler: Klettersteig nur mit Hüftgurt ohne Brustgurt, das heißt im Kletterhallenstil. Tödlich, weil beim Sturz der Rucksack eine nach hinten zieht und der Fangstoß selbst bei guter Auslösung des Sets noch stark genug ist, um einen den Rücken zu brechen.
Bewertung der Schiara: der Steig ist lang, stellenweise extrem ausgesetzt und muss im Abstieg bewältigt werden. Er ist technisch nicht extrem schwer. Das Risiko von Stürzen bei vertikalen Passagen ist durch die Art des Steigs auf wenige Stellen beschränkt und daher überschaubar. Bei gutem Wetter ist er mit Set und Helm ein wundervolles Erlebnis.
Unter keinen Umständen würde ich die Schiara ohne Sicherung machen. Wegen der oben beschriebenen Risiken würde ich auch keine der Lösungen von Stufe 1 bis Stufe 3 als Bastelei oder Altmaterialverwertung für mich einsetzen. Der Steig ist ausgesetzt, die Fallhöhen sind oft dramatisch hoch und sicher tödlich. Der erste Fehler ist dann der letzte.
In einigen Kommentaren und Posts wurden auch andere Passagen des Traumpfads diskutiert. Einige Passagen des Steigs sind drahtseilversichert. Am häufigsten werden die Friesenbergscharte, das Val Setus und der kleine Steig auf die Sella Nivea erwähnt. Bei den beiden ersten würde ich persönlich keine Klettersteigausrüstung einsetzen. Die Steige sind nicht sehr ausgesetzt. Auf der Friesenbergscharte ist die Steinschlaggefahr und damit das Risiko eines Absturz durch Verletzung gering. Im Val Setus kommen Steinschläge häufig vor, weil viele Leute gehen und der Weg eng durch die Rinne führt. Ich würde hier wahrscheinlich meinen Helm aufsetzen, wenn ich ihn sowieso dabei habe. Die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes ist gering, weil dazu die Route nicht steil genug ist. Die Sella Nivea ist ein Grenzfall. Ich habe sie ohne schlechtes Gewissen ungesichert in beide Richtungen durchstiegen. Wer sich unsicher ist und keine Ausrüstung dabei hat, sollte einfach die Umgehung wählen.
Ist das alles Übertreibung? Panikmache? In einem Buch über Risiken in der Natur habe ich erst kürzlich den Begriff “konstruktive Paranoia” gelesen. Er bezeichnet die Angst von Menschen vor sehr selten eintretenden aber schweren Unfällen. Der Sturz im Steig ist selten. Vielleicht gehen Hunderte die Schiara jedes Jahr ungesichert und ihnen passiert nichts. Ich stelle mir vor, was wäre, wenn ich der eine bin, dem etwas passiert. Je mehr Erfahrung man am Berg sammelt umso öfter hat man erlebt, dass eine harmlose Spaßbergtour auf einmal ernster wurde als gedacht. Und man hat auch den einen oder anderen schweren Unfall gesehen oder erlebt. Wir können nicht alle Risiken des Bergsteigens ausschalten, aber wir haben heute die Technik, Klettersteige sicherer zu begehen als vor 40 Jahren. Wir sollten diese Technik nutzen.
(Original aus www.weitwandern.de, August 2013)
In meinem Archiv habe ich die Ankündigung der Alpenüberquerung im Winter von Franz Demel gefunden. Das war im Winter 2003/2004:
Demel-Webseite-Ankuendigung-Wintertour
Der Versuch, die Tour im Winter zu begehen endete tragisch:
Ludwig Graßler hatte ihn bei einem Treffen vor der Tour gewarnt.
Meine Gedanken dazu hatte ich im Winter 2010 in folgenden Worten zusammengefasst:
Im Forum wurde immer wieder die Frage gestellt, ob man die Tour auch im Winter machen kann. Einige Diskussionen gab es schon dazu. In diesen Artikel möchte ich diese Diskussion zusammenfassen.
Mein üblicher Kommentar war der Verweis auf diesen Link: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/47/365865/text/. Das ist natürlich etwas brutal, aber der Tod von Franz Demel sitzt mir immer noch in den Knochen.
Früher war ich eine Zeit lang vom Winterbergsteigen begeistert. Herrliche Touren wie die Besteigung des Dachstein im Hochwinter, die Umrundung des Königssee im November und eine Frühjahrstour über den vereisten Watzmann mit Abstieg über die Südflanke sind mir noch lebhaft in Erinnerung. Ich habe für diese Abenteuer damals kräftig geübt, winterliche Ausflüge mit Steigeisen auf die Klettersteige der fränkischen Schweiz waren Teil des Trainingsprogramm und gut 20 Kilo Rucksackgewicht gehörten dazu (ich wog damals knapp über 60 Kilo). Neben den positiven Erlebnissen gibt es aber auch eine Reihe negativer Eindrücke. Ein Abstieg bei minus 20 Grad mit Darmgrippe war kein Zuckerschlecken. Die Übernachtung im Birkar Biwak gehört auch nicht zu meinen schönsten Nächten. Rückblickend waren mir damals die objektiven Gefahren des Winterbergsteigens nicht bewusst genug. Wenn nur eine Kleinigkeit schief gegangen wäre, hätte es ernst werden können. Man braucht für alles viel länger und viel mehr Kraft.
Die Berge sind herrlich im Winter und auf Ski ein Genuß, aber eine Überschreitung der Alpen von München nach Venedig ist eine extreme Unternehmung mit hohen Risiken. Viele der Hänge auf der Tour sind lawinengefährdet und einige der Teiletappen sind im Winter sehr gefährlich.
Schlußfolgerung: ich würde es nicht tun. Nicht einmal in Teiletappen.
Franz Demel hat übrigens eine Frau und zwei kleine Kinder zurückgelassen.